03 Luxus auf Rädern

Rolls-Royce ist die berühmteste aller Marken. In ihrer englischen Maßwerkstatt wird das Ansehen vom teuersten Auto der Welt poliert. Ein Besuch in Goodwood

Juni 3, 2011
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Goodwood. Es ist eine deutsch-englische Erfolggeschichte: Nie hat Rolls-Royce so viele Autos verkauft wie im vergangenen Jahr. Motoren und Karosserie entstehen in Bayern. Seele aber hauchen der Luxuslegende erst 250 Handwerker im pittoresken Sussex ein: Hier schneidern, feilen und sticken sie an dem Interieur, wie es dem Kunden gefällt. Der maßgeschneiderte Rolls Royce liegt bei Reichen, die schon alles haben, voll im Trend.

Die Stille fällt als Erstes auf: In den lichtdurchfluteten Hallen nehmen die Edelmobile fast geräuschlos Form an. 16 Arbeitsstationen durchlaufen sie, in einem Ambiente, das mehr an Atelier denn Fabrik erinnert. Doch die Ruhe täuscht über den sagenhaften Boom hinweg: 3538 Autos hat Rolls-Royce 2011 verkauft, eine Rekordzahl. Dabei ist eine alte Tradition der letzte Schrei. „Kutschmeister haben die Kabinen unserer ersten Autos einst nach Kundenwunsch gefertigt“, erklärt Thomas G. Jefferson, „heute erfüllen wir fast jeden Wunsch. Die Grenze des Möglichen ist allein die Fantasie der Käufer.“

Und die Superreichen haben die Grenzen des Machbaren in Goodwood schon tüchtig erweitert. Man muss dem Chef der Maß-Abteilung also nicht mit schnöden Extras wie iPod-Anschluss, getrennten Klimazonen oder champagnerfarbenen Polstern kommen. Verrückte Lackierungen, eingebaute Picknick-Körbe oder vergoldete Kühlerfiguren, für die der Safe an die Fertigungsstraße gerollt wird, sind da schon eher sein Metier.

„Als Vorlage für eine Lackfarbe bekamen wir kürzlich Lidschatten in irisierendem Grün“, erinnert er sich. Eine seiner leichteren Übungen – im Werk kann Jefferson über 45.000 Farbtöne mischen. Doch Intarsien im Armaturenbrett, die die Trikotfarben von Jockeys aufgreifen? Der Maß-Manager lächelt milde: „Das war ziemlich viel Handarbeit.“ Am Ende fuhr ein Rolls Royce in Goodwood ab, der so individuell war wie der Fingerabdruck seines rennsport-verrückter Besitzers – unter der Motorhaube 460 Pferdestärken, der Lack im sepiabraunen Fell-Ton teurer Vollblüter und das Interieur dekoriert mit der Heraldik der Galoppreiter.

Wenn Jefferson die Maßwerkstatt als „Juwel in der Krone von Rolls Royce“ bezeichnet, ist das keineswegs hoch gegriffen. Für Sonderwünsche kann der Autobauer im Vergleich zum Standard-Rolls-Royce 30 Prozent im Preis aufschlagen. Superreiche, die sich auch ihre Yachten oder Häuser ausstatten lassen, schreckt das nicht: Immer mehr Kunden wollen, dass auch ihr Auto ihre Persönlichkeit spiegelt. 2005 verließ jeder zweite Rolls Royce die Fertigung mit Sonderelementen. Vergangenes Jahr waren es schon 90 Prozent.

Im Zuge des Booms hat sich das beschauliche Goodwood zur Zentrale des automobilen Weltgeschmacks gemausert. „China mag seinen Rolls Royce außen konservativ-scharz und innen wild“, sagt Jefferson. Drachenstickereien auf Kopfstützen sind der Favorit, Mandarin eine beliebte Polsterfarbe, weil sie Glück bringen soll. Der Nahe Osten liebt Edelsteintöne, die in Hannover unangemessen bunt, im Licht Saudi-Arabiens hingegen elegant aussehen. Deutsche, leider meist Puristen, sehen Ziernähte schon als mutigen Akzent, für Kunden in Beverly Hills muss es mindestens Krokodilleder sein. Und so landet die Haut eines Alligators auf dem Tisch von Barry Harvey. 1000 Pfund kostet das Exemplar, vier Krokodilbäuche wird der Stoffexperte in den nächsten Tagen in einem Modell Phantom verarbeiten.

„Jeder neue Rolls Royce hat seine eigene Geschichte“, sagt Jefferson, „sie sind wie Kinder, die man großzieht und irgendwann zur Schule bringt.“ Man kann diese Mann-und-Auto-Romantik belächeln. Es würde aber nichts daran ändern, dass Jefferson, aufgewachsen in Detroit und Sohn eines General-Motors-Arbeiters, den Nerv der Zeit trifft: Wo der Alltag anonymer, austauschbarer und  virtueller wird, wächst die Sehnsucht nach Echtheit und Persönlichkeit – bevorzugt offenbar der eigenen. Und so ist es für den Maß-Arbeiter ganz selbstverständlich, dass er in die berühmte Londoner Savile Row fährt und dort ein Schottenmuster entwerfen lässt, mit dem er für einen Outdoor-Fan den Kofferraum auskleiden kann.

Solche Detailverliebtheit ist überall in Goodwood zu spüren: Jede Nähmaschine ist auf einen anderen Stich eingestellt; den nervenstärksten Schneiderinnen obliegt es, in die fertigen Viertel-Million-Autos Kontrastnähte per Hand zu ziehen. Ein „Bookmatcher“ vergleicht den ganzen Tag Holzmaserungen in Furnierstücken, damit die Auskleidung aus Walnuss, Palisander oder gar der Familien-Eiche aus dem heimischen Garten symmetrisch ist.

Alte, ehrliche Handarbeit kombiniert das Werk mit modernster Technik. Die Kuhhäute – allesamt von Bullen aus der Schweiz oder Schottland, die ohne Stacheldrahtzäune aufwachsen – werden einzeln auf etwaige Narben abgetastet. Ein Computer entscheidet dann per Laser, wie die optimale Schnittmusterverteiler auf der Rinderhaut anzuordnen ist. Am Ende zieht handtaschenzartes Leder in die Limousinen.

Längst sind es nicht mehr nur Männer, die mit dem Rolls Royce eine wuchtige und zugleich filigran möblierte Yacht fürs Festland suchen. Thomas Jefferson verzeichnet mittlerweile Rekordzahlen von weiblichen Kunden. Rosenquarz-Rosa gehört daher schon fast zu den neuen Standardfarben. „Dass hier ein Nagellack als Wunschton auf den Tisch gestellt wird, passiert häufiger als manche glauben“, sagt er.

Ein halbes Jahr dauert es, bis die 250 Handwerker alle Maßelemente gefertigt, im „Woodshop“ von Hand geschleift und auf Spiegelglätte poliert haben. Danach werden die Luxusautos durchgeschüttelt und das kleinste Rappeln beseitigt. Nach dem „Monsoon-Test“ unter 45 Wasserdüsen suchen die Spezialisten mit einem Endoskop den Rahmen auf Mini-Lecks ab. Ein Gentleman legt zu guter Letzt noch zwei Regenschirme in den Wagen – teflonbeschichtet, dass sie nie schimmeln. Bevor der glückliche Kunde dann mit seinem Rolls Royce durch die Wiesenlandschaft von Chichester steuert, lässt er sich bisweilen noch die Motorabdeckung von den Handwerkern signieren – ganz so, als würde er kein Auto, sondern fortan ein Kunstwerk fahren.

(2012)

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Jasmin Fischer

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