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07 Dinner am Haken

Fliegenfischen im Westen Englands: Am Flüsschen Test in Hampshire zeigt Angel-Coach Marcus McCorkell den Gästen, wie sie ihr Abendessen selbst fangen können

Juni 7, 2011
5 min read

Longstock. Wo die Flüsse klar sind wie Gin und England den Charme einer vergangenen Ära pflegt, bringen Einheimische traditionelle Gegensätze zusammen: Landgasthöfe und designverliebte Großstädter, Frauen und Fliegenfischen, Coolness und Countryside. Wer an Landpartien den Laura-Ashley-Faktor fürchtet, ist mit einer Angel am Flüsschen Test gut aufgehoben. Novizen willkommen!

Der Wagen kurvt verlassene, enge Steinstraßen entlang, alte Eichen säumen die gewundenen Wege und zwischen Reethäusern ducken sich Holzbrücken. Der Dorfpfarrer grüßt nett im Vorbeigehen. In ein paar Minuten wird er die Glocken in der kleinen Kirche gegenüber vom Gasthof „Peat and Spade“ läuten. Dann kehrt außer dem Klockidiklock vorbeitrabender Reiter und dem Brummen eines Traktors wieder Stille in Longstock ein.

Seit 1839 wird in dem Backstein-Pub in Hampshire Bier aus der Region gezapft; wo früher Torfstecher Pause machten, kehren heute Gäste auf der Suche sind nach der Quintessenz von Old England ein – unter modernen Vorzeichen. Kein piefiger Chintz, sondern ein klassisch-stylishes Interieur zeichnet die acht Zimmer des Landgasthofs aus. Unten wird auf Londoner Niveau, aber ohne Hauptstadtattitüde, gekocht. „Wir achten darauf, dass alle Zutaten aus Großbritannien stammen“, so Pub-Manager Max Heritage. Das Esszimmer im „Peat and Spade“ kommt – ebenfalls very british – mit tiefroten Wänden und Kamin daher; der kleine Salon zum Garten, das „Rutenzimmer“, ist mit kostbaren, historischen Angeln möbliert. Auch dem Zivilisationsmüdesten dürfte an diesem Ort nicht entgehen, wie die Einheimischen sich entspannen: Die Kreideflüsse rund ums „Peat and Spade“ machen aus der Region ein weltberühmtes Paradies für Fliegenfischer.

Wer beim Thema Angeln allerdings gleich an schnauzbärtige, schweigsame Sonderlinge denkt, liegt falsch. Denn genau wie trendbewusste Landgasthöfe in Hampshire sorgen auch die Fliegenfischer am Flüsschen Test für frischen Wind in ihrer alten Tradition. Mit Erfolg: Seitdem das rustikale Ambiente stilistisch durchgelüftet wurde, zieht es auch deutlich mehr Frauen, Jüngere und Fliegenfisch-Greenhorns an die heiligen Gewässer. Und das geht ziemlich schnell: Morgens drückt der Koch vom „Peat and Spade“ dem Gast einen gut gefüllten Picknickkorb in die Hand, und zehn Minuten später steht man vor der atemberaubenden Kulisse einer alten Mühle.

Dort wartet bereits Angel-Coach Marcus McCorkell mit einem ziemlich optimistischen Versprechen: „Heute fängst Du Dir das Abendessen selbst.“ Dafür muss man keinen glitschigen Wurm auf rostige Haken spießen, sondern nur eine Fliege, ein  kunstvoll gebundenes Insektenimitat, an eine dünne Nylonschnur binden und damit Forellen im malerischen Weiher an der Nase kitzeln. Einen  Haken hat die Sache natürlich: Wie soll die Fliege zum Fisch kommen, wenn Schnur und Köder so leicht sind, dass man sie nicht schmeißen kann?

McCorkell macht’s vor: Er schwingt seine Angel erst nach hinten, dann geradeaus, die Schnur folgt seinem Arm erst in einem perfekten U durch die Luft, um dann galant übers Wasser in Richtung Forelle zu laufen. „Weil die Kreideflüsse hier so klar sind, dass wir jeden Fisch sehen können, ist es wichtig, genau zu zielen“, sagt er, „dies ist einer der wenigen Orte der Welt, an dem man nicht blind angeln muss.“ Kurz später, als wir ein Stück stromaufwärts laufen, scheint der Test tatsächlich kein Fluss, sondern ein Aquarium zu sein. Zwischen Gräsern im kristallklaren Wasser stehen Bach- und Regenbogenforellen, jede einzelne ihrer schillernden Schuppen erkennbar. Weiden verbeugen sich über dem rauschenden Fluss, bunte Insekten tanzen übers Wasser.

Nur im Mühlweiher, dem idyllischen Trainingsgelände der Angelschule „Fishing Breaks“, haben die Forellen heute keine Lust auf schwarze Fliegen. Nach einer halben Stunde bindet Marcus eine weiße Nymphe an meine Schnur. Doch so schnell, wie ein Flossenträger sich die Fliege schnappt und dabei an der Angel zerrt wie ein Hund an der Leine, macht es Peng. Vor meinen Augen baumelt ein Rest Schnur – ohne Fliege. Doch jetzt ist der Ehrgeiz ist geweckt. Dumm nur, dass die Forellen genau das Gleiche denken: Eine beäugt die Fliege, inhaliert sie in Zeitlupentempo und atmet sie wieder aus. Dutzende Würfe, kein Biss und ein Coach, der an die Grenzen seiner Trostkapazitäten kommt. „Hat nur danebengebissen“, sagt er. Oder: „Hat sich am Schilf verschluckt.“ Oder: „Vielleicht mögen sie die Luftdruckänderung nicht.“ Mein Arm wird müde, die Schnur knallt in der Luft wie eine Peitsche und auf dem Weiher steigen Luftblasen auf: Die Fische lachen uns aus.

Doch schöner kann man auf der Welt gar nicht scheitern: Im Schilf quakt ein Vogel, eine Katze straft durch den majestätischen Garten und das Handy zeigt „Kein Empfang“. Simon Cooper, Chef der Angelschule, schmeißt derweil den Grill neben der schicken Fischerhütte an und packt Käse und Pasteten vom Picknickkorb des „Peat and Spade“ aus. Wer ohne Coach losziehen will, muss sich bei ihm eine Tageserlaubnis und bei einer englischen Postfiliale für 3,75 Pfund einen Angelschein kaufen.

Galt Fliegenfischen einst als Erholung für nachdenkliche Aristokraten, so hat das Hobby heute viele ganz durchschnittliche Anhänger. Wenn es hier noch etwas Außergewöhnliches ist, dann liegt das allein am Charme der Kreideflüsse: „Das Kalkgestein an den Quellen  filtert das Wasser“, erklärt Cooper, „deshalb ist es so mineralienreich, wohltemperiert, fischfreundlich und klar.“

So klar, dass nicht nur der Mensch den Fisch, sondern der Fisch leider auch den Menschen sieht – und das Angeln mehr Verführung als Jagd ist. Eine Federfliege in Orange, gut gezielt auf den Kopf dieser mit allen Wassern gewaschenen Forellen, erledigt schließlich den Job. Vermutlich vor Schreck beißt das Vieh in den Haken und Marcus McCorkell hilft, das wild um sich schlagende Flossentier ans Ufer zu ziehen. „Dinner“, ruft er triumphierend. Aber nach einem Foto mit dem Schuppenträger, der hier um sein Leben kämpft, lassen wir „Dinner“ lieber wieder schwimmen. An dem 64 Kilometer langen Fluss gilt ohnehin die Empfehlung, Forellen zurückzusetzen.

„Wenn man nur wegen der Beute mit dem Fliegenfischen beginnt, macht man einen Fehler“, bringt es McCorkell auf den Punkt, „es geht darum, einen Tag mit Freunden in schöner Natur zu verbringen, irgendwann vielleicht auch um die Ästhetik eines gelungenen Wurfes.“ Als er mich am Ende des Tages mit mitleidigem Blick zurück in die Hektik der Londoner Rushhour entlässt, purzelt eine Notiz der Angelschule aus meinen Gummistiefeln. Darauf steht: „Zeit ist kostbar. Nutz’ sie zum Angeln.“ Vorsicht Stadtmensch: So wirst Du geködert!

(2011)

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Jasmin Fischer

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