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09 Kochen Inkognito

Sie bewegen sich in einer juristischen Grauzone, lassen sich davon aber nicht ins Boxhorn jagen. Immer mehr Hobbyköche in den Grossstädten servieren nicht mehr nur dem eigenen Freundeskreis Leckereien, sondern kochen gegen Bezahlung auch für unbekannte Gäste.

Juni 9, 2011
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Heiß, schrill und illegal, so kommt der neueste Gourmet-Trend aus der britischen Hauptstadt daher: In geheimen „Underground-Restaurants“ servieren Hobbyköche fremden Gästen Drei-Gänge-Menüs am Wohnzimmertisch – inklusive Versteckspiel und Überraschungen. Ein Besuch mit Tricks, Tücken und Tortillas.

Leicht zu finden sind sie nicht, das liegt in ihrer versteckten Natur. Die Untergrundköche brechen gleich mehrere Gesetze, weshalb sie ohne offizielle Werbung oder Türschild vor sich hin schnibbeln und brutzeln. Nur Londons Szene-Cliquen kennen ihre Adresse, andere finden über Twitter, Facebook oder Google ersten, anonymen Kontakt.

MsMarmitelover, die ihren wahren Namen lieber nicht verrät, kocht zum Beispiel gern exotisch und öffnet seit März jeden Samstag ihr Wohnzimmer nordwestlich der Themse für 20 Fremde. „Einen Ehemann zum Bekochen habe ich ja nicht“, spottet sie, „und meine Tochter isst nichts.“ Neben ihrem Aga-Herd, einem riesigen kohlebefeuerten Landhausofen, steht ein schwarz geschminkter Teenager und verdreht genervt die Augen.

Bezahlt werden muss das Essen online im Voraus, erst dann rückt MsMarmitelover ihre Privatadresse samt Tür-Code raus. Das Geheimvergnügen kostet 25 Pfund pro hungrigem Magen – angefangen hat sie mit 15 Pfund und dabei schnell festgestellt, dass sie die Zutaten so nicht finanzieren kann. Verschreckt hat die Preiserhöhung offenbar niemanden – ein Besuch im Untergrund ist immer noch billiger als im legalen London, das unter der Kreditkrise ächzt. „Die Leute reservieren schon Tische für August“, sagt sie.

Heute lautet die Parole am Eingang „Hasta la victoria siempre“, eine kleine Hommage an alle Anarchisten-Köche Kubas, die Touristen am System vorbei in ihren Stuben bewirten. Hinter der Haustür wartet dann ein Mix aus fremder Party und charmantem Bistro. „Kellner“ Johnny, der viel Schwarz und Piercings trägt, empfängt die Untergrund-Dinner-Gäste mit einer Margarita und platziert sie im „Front Room“ des Altbaus.

MsMarmitelover hat zum Essen ihre schönen Eisentische aus dem Garten hereingetragen, Leinentischtücher ausgebreitet und lässt Musik aus ihrer privaten Sammlung auf dem iPod laufen. Jetzt erfährt man auch, was es gibt: Mexikanisch-Vegetarisch. Der Fotograf zieht ein Gesicht („Was, kein Fleisch?“), doch die Grundregel im Underground-Restaurant lautet: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Regel Nummer 2: Locker bleiben bei Tischmanieren anderer Gäste, denn MsMarmitelover setzt die Fremden nach eigenem Gusto zusammen. Wir teilen uns den Tisch mit zwei sehr, sehr hungrigen englischen Reportern, die sich allein über die gemeinsame Vorspeise hermachen, aber immerhin freimütig ihren Rotwein teilen wollen.

Alkohol dürfte überhaupt MsMarmitelovers größter Gesetzesbruch sein: Eine Schanklizenz hat sie natürlich nicht. Kellner Johnny, dessen Beschäftigung zudem nicht steuerpflichtig angemeldet sein dürfte, kaschiert das Problem gewieft: „Sie können sich mit 3 Pfund an einer Tombola beteiligen“, sagt er, „und ich bin mir ziemlich sicher, Ihre Chancen auf ein Glas Wein stehen gut. Wenn Sie gewinnen würden, welchen Wein dürfte ich Ihnen bringen?“

Derweil duftet es aus der Küche nach Tortillas und vegetarischer Chili sin Carne. Die Musik ist besser und leiser als in den meisten offiziellen Restaurants, das Ambiente geschmackvoller. Wer will, bekommt kostenlos einen Nachschlag und kann die anderen Optionen des Hauses ausloten. „Nervensägen fliegen raus“, schreibt die Gastgeberin in ihrem Blog, „wer mir allerdings gefällt, darf über Nacht bei mir bleiben.“ Beides, fügt sie hinzu, sei bislang noch nicht vorgekommen.

Fürs Dessert hat die Köchin eine Frau engagiert, die mit einem Bus durchs Land fährt und Schoko-Pudding verkauft. Am späten Abend öffnet sie die Schiebetür ihres Bullis auch vor MsMarmitelovers Haustür. Die hüpft mittlerweile auf ihren Lackleder-Keilsandalen und wunden Füßen vor dem Aga-Herd hin und her. Wie bei jeder guten Party stehen alle Gäste irgendwann bei ihr in der Küche.

Dort fällt der Stress langsam von der Gastgeberin ab: „Es gibt keinen größeren Druck, als 20 Fremde in deinem Wohnzimmer zu bewirten.“ Arbeitsreich ist ihr Projekt auf jeden Fall: Damit es samstags keine Pannen gibt, legt sie meist schon mittwochs mit den Vorbereitungen los. „Ich kenne Leute, die fanden die Idee des Underground-Restaurants cool“, erzählt sie, „aber nach einem Mal haben sie wieder aufgegeben. So etwas fordert einen enorm, und nebenbei hat man auch noch ein legales Leben.“

Wer zu später Stunde noch einen Rotwein oder Cognac will, muss ihn sich selber holen. MsMarmitelover hat Feierabend und verbringt ihn auf ihre Weise: plaudernd mit den Gästen. „Das ist ja das Schöne“, sagt sie, „vielleicht auch für Deutsche: Ihr könnt herkommen, spannende Engländer kennenlernen und nebenbei sehen, dass wir doch ganz gut kochen können.“ Irgendwann zieht sie die Couch für die Frau mit dem Pudding-Bus aus und legt sich selber schlafen. „Vergesst nicht, das Schloss einzurasten, wenn ihr geht“, sagt sie zu den letzten Fremden, die sich im Treppenhaus zwischen ihren Schwarz-Weiß-Urlaubsfotos festgequatscht haben.

(2009)

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Jasmin Fischer

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